Katastrophen, Krisen und Konserven: Die einen horten Lebensmittel, die anderen Waffen. Prepper wollen auf alles vorbereitet sein.
12. September 2020 04:30 Uhr
Selbst wenn die Welt gerade untergehen würde, man bekäme davon vermutlich erstmal
recht wenig mit hier in dem kleinen Waldstück im Kreis Schwäbisch Hall. Mittagszeit,
Ruhe im Camp. Nur der Kessel blubbert leise über dem Feuer. Sechs Männer und eine
Frau sitzen im Kreis und starren in die Flammen. Nach rund 24 Stunden in der Wildnis
ist ihre Stimmung am Boden. Kopfschmerzen. Koffeinentzug. Erschöpfung. Vor allem:
Hunger. Was im Topf auf dem Feuer köchelt, hebt die Laune nur bedingt. Brennnessel-Blätter
schwimmen im kochenden Wasser, dazu Kohldisteln, Breitwegerichwurzel, ein paar Samen.
Jens, der Fahrlehrer, träumt von einer Bratwurst. „Es ist unglaublich, dass man dafür
Geld bezahlt“, sagt er. „Aber man lernt viel.“ Überleben hat eben seinen Preis.
Teilnehmer des Überlebenskurses würzen eine Suppe, bestehend aus Brennnesseln, Giersch
und anderen Pflanzen, mit Salz. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Die Prepperszene in Deutschland ist vielfältig, wenn man überhaupt von einer Szene
sprechen kann. Das Spektrum reicht von der Hausfrau, die ein paar Dosen mehr in den
Wagen legt, über Baumarktbastler und Sicherheitsfanatiker hin zu paranoiden Verschwörungstheoretikern
und gewaltbereiten Rechten. Die einen horten Konservendosen, die andere Waffen. Und
die Szene wächst, sagen Experten. Sie ist Indikator für das zunehmende Gefühl der
Unsicherheit in der Gesellschaft. Finanz-, Flüchtlings- und nun Corona-Krise schüren
Ängste, dass es der Staat nicht alleine richten kann.
Das Geschäft mit dem Überleben boomt. Es gibt Prepperkurse, in denen apokalyptische
Szenarien durchgespielt werden, etwa ein Atomkrieg oder eine Seuche. Mit dem Weltuntergang
und irgendwelchen Spinnern will man in dem kleinen Waldstück bei Mainhardt nichts
zu tun haben. Beim „Survical Base Camp Advanced“ geht es um das Überleben in der Natur.
Man beschäftigt sich mit Pflanzenkunde, Wasseraufbereitung, Feuermachen. Etwas Wildnis
für ein Wochenende.
Der Wildniscoach
Wenn er das Wort „Prepper“ bei Google eingebe, ploppten Bilder von Waffen und Gasmasken
auf, erzählt Dominik Knausenberger. „Es ist schade, dass sich das so etabliert hat“,
sagt der 34-Jährige. Denn Krisenvorsorge habe durchaus ihre Daseinsberechtigung. „Corona
beweist: Man weiß nie, was kommt.“
Knausenberger ist ein Naturbursche. Auf seinem Vorderarm hat er sich in schwarzen
Lettern das Wort „Adventure“ tätowiert. Seit sechs Jahren bringt der gelernte Industriemechaniker
Leuten bei, wie sie allein im Wald zurechtkommen. Der Andrang sei groß, sagt er. Es
gebe die Kursteilnehmer, die sich auf eine längere Wildnistour vorbereiten wollten.
Oder die, die einfach mal Abstand vom Alltag bräuchten. Aber auch die politische Unsicherheit
ist immer wieder Thema: „Bestimmt in jedem zweiten Kurs habe ich jemanden dabei, der
wissen will, was er tun muss, wenn alles zusammenbricht.“
„Bestimmt in jedem zweiten Kurs habe ich jemanden dabei, der wissen will, was er tun
muss, wenn alles zusammenbricht.“ Dominik Kausenberger, Wildniscoach
Es ist 12.30 Uhr im Camp am Waldrand. Die Kursteilnehmer haben Holz gesammelt, einen
Unterschlupf gebaut und Wasserfilter aus Plastikflaschen gebastelt. Zum Frühstück
gab es 750 Gramm Haferflocken, eine Packung Haselnüsse und zwei Äpfel – für alle.
Mitbringen durften sie nur einen Müsliriegel pro Tag. Die Teilnehmer sind müde. „Sie
schwächeln schon ein bisschen“, sagt Knausenberger. „Aber ich verkaufe ja keine Campingkurse.“
Der Survival-Fan
„Der hält uns auf Trab“, stöhnt Jens R., der Fahrlehrer, der gerade seine Wald-und-Wiesen-Suppe
löffelt. In seinem selbstgebauten Unterschlupf habe er kaum ein Auge zugedrückt, die
Blätter habe es ihm ins Gesicht geweht. Jens ist 49 Jahre alt, kommt aus der Gegend
südlich von Stuttgart und will seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er
interessiere sich schon lange für Survival-Themen, lese Magazine und Bücher. Bei einem
Hollywoodfilm über eine Alien-Invasion habe es Klick gemacht. Da ging es um Plünderungen
und einen Zusammenbruch des Stromnetzes. Zum Überleben brauche es viel theoretisches
Wissen, sagt er.
Überlebenskurs-Teilnehmer Jens spricht im Camp in einem Waldstück über seine Eindrücke
des Survivalkurses. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Der nächste Programmpunkt: Feuermachen. „Kein Holz ist wie das andere“, ruft Coach
Knausenberger in die Runde. Dann sägen sie und schaben, basteln Zunder und pusten
auf Holzwolle. Nach und nach qualmt es überall. Jens hackt ein Stück Tanne zurecht.
Nein, er wünsche sich keine Katastrophe herbei, sagt er. Aber er wolle vorbereitet
sein. „Ich bin kein Extremer, aber ich hatte schon vor Corona Konserven im Keller.“
Die junge Generation sei da etwas blauäugig, denke, der Staat werde sie schon versorgen
im Notfall.
Der Prepper
Bastian Blum würde das wohl unterstreichen. Er gilt in den Medien als König der Prepperszene,
auch wenn er mit dem Titel selbst nichts anfangen kann. Der 41-Jährige war viele Jahre
selbst im Katastrophenschutz tätig, war Rettungssanitäter und Feuerwehrmann. Einst
gründete er die Prepper-Gemeinschaft Deutschland, aber die gibt es nicht mehr. „Es
ist nicht mehr möglich, den Namen Prepper positiv zu besetzen.“ Heute betreibt er
das „Katastrophen Selbsthilfe Infoportal“. Blum kämpft für ein besseres Image der
Prepper.
Er unterscheidet zwischen den guten und den schlechten Preppern, den „Doomern“. „Es
macht keinen Sinn, sich auf eine Zombie-Apokalypse vorzubereiten“, sagt er. Ein echter
Prepper denke vorausschauend und bereite sich auf realistische Gefahren wie Stürme,
Hochwasser und Stromausfälle vor. Ein „Doomer“ wünsche sich die Katastrophe herbei
und bereite sich auf den Zusammenbruch des Systems vor. Die einen sorgten vor mit
Lebensmitteln, die anderen mit Macheten und Munition.
Um Trinkwasser zu gewinnen, haben die Teilnehmer des Überlebenskurses Plastikflaschen
mit Erde, Moos und anderen Dingen aus der Wildnis gefüllt. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Blum zählt sich klar zur ersten Gruppe. Mit seinen Vorräten käme er derzeit sechs
Wochen zurecht. Durch die Corona-Krise sieht er sich auch ein Stück weit bestätigt.
Er habe sich bereits Mitte Januar, als das Virus in China ausbrach, Desinfektionsmittel
und Masken besorgt. „Weil ich da schon wusste, das könnte in die Hose gehen.“ Die
Bundesregierung habe die Lage zeitweise verharmlost, sagt er.
Der Katastrophenschützer
Christoph Unger fühlt sich in seiner Rolle manchmal wie die Figur Kassandra aus der
griechischen Mythologie. „Die hat ja auch immer auf irgendwelche Dinge hingewiesen
– und keiner hat ihr geglaubt.“ Unger ist Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe. Sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass 83 Millionen Deutsche
möglichst gut für Krisen gewappnet sind. Unger sagt selbst: „Es gibt noch viel zu
tun.“
Der 62-Jährige ist nicht zufrieden mit seinen Landsleuten. „Die Deutschen vertrauen
sehr stark darauf, dass der Staat immer zur Hilfe kommt“, sagt er. So hätten die wenigstens
Menschen Vorräte für zehn Tage zuhause, wie es das Bundesamt empfiehlt. Wer keine
Reserven daheim habe, der kaufe dann panisch Klopapier wie zu Hochzeiten der Corona-Krise,
sagt Unger. Schärft die Pandemie das Krisenbewusstsein der Deutschen? „Wir können
derzeit noch nicht wissenschaftlich belegen, ob die Corona-Krise eine Verhaltensänderung
mit sich bringt“, sagt Unger. „Aber wir wünschen es uns und wir arbeiten dafür.“
Teilnehmer des Überlebenskurses essen in ihrem Camp in einem Waldstück zu Mittag.
Foto: Christoph Schmidt/dpa
Am 10. September soll es den ersten bundesweiten Warntag seit Ende des Kalten Krieges
geben, vom BBK organisiert. An diesem Tag würden die unterschiedlichsten Warnmittel
wie Sirenen, Apps aber auch digitale Werbetafeln ausgelöst, sagt Unger. Er ist überzeugt,
dass sich Katastrophenfälle künftig häufen werden – schon wegen des Klimawandels.
Erdbeben, Hochwasser, Stromausfälle – die Menschen müssten für den Notfall vorsorgen.
Das BBK unterstützt es, wenn Menschen Vorräte anlegen und sich auf Katastrophen-Szenarien
vorbereiten. Klar wolle er keine Panik schüren, sagt Unger. Aber: „Wir dürfen die
Menschen nicht einlullen.“
Bestimmte Aspekte der Eigenvorsorge deckten sich auch mit Dingen, die Prepper machten,
sagt Unger. Krisenvorsorge müsse immer in Abstimmung mit dem Staat erfolgen. „Das
Gewaltmonopol des Staates darf dabei aber zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden.“
Die Sicherheitsbehörden
Denn wenn sich Prepper bewaffnen und gegen den Staat agieren, wird es gefährlich.
Berichte über ein neues rechtsextremes Prepper-Netzwerk in Sachsen und Sachsen-Anhalt
haben erst im Juni eine hitzige Debatte entfacht. Reservisten und Burschenschafter
sollen im Netz über Bewaffnung und einen möglichen „Rassenkrieg“ diskutiert haben.
Im neuen Verfassungsschutzbericht taucht das Wort Prepper aber kein einziges Mal auf.
Die Zugehörigkeit zur „Prepper-Szene“ stelle für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt
für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar, teilt das Bundesinnenministerium mit.
Nur wenige Einzelfälle seien bislang bekanntgeworden, bei denen gleichzeitig waffenrechtliche
oder staatsschutzrelevante Erkenntnisse vorlägen. Ein kriminalistisch bedeutender
Trend lasse sich nicht feststellen.
Ein aus Holz und Laub gebauter Unterschlupf ist in einem Waldstück zu sehen. Der Bau
eines solchen Schlafplatzes ist Teil des Überlebenskurses. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Allerdings sei Krisenvorsorge und die Vorbereitung auf einen „Tag X“ auch Bestandteil
von Diskussionen der rechtsextremistischen Szene wie auch der extremistischen „Reichsbürger“,
betont ein Sprecher des Innenministeriums. Einzelne Personen und Gruppierungen dieser
Szenen wiesen „prepper-ähnliche“ Verhaltensweisen auf. „Preppen“ kann somit im Einzelfall
mit einer extremistischen Motivlage einhergehen.“ Extremisten würden die Krise nicht
nur befürchten, sondern entweder selbst herbeiführen wollen oder „zumindest zur Realisierung
ihrer extremistischen Vorstellungen nutzen“.
Der Forscher
Mischa Luy forscht seit Jahren zu dem Thema, promoviert über das Prepper-Phänomen
an der Ruhr-Universität-Bochum. „Es gibt nicht den prototypischen Prepper“, sagt der
33-Jährige. Preppen sei aber generell ein eher männliches Phänomen und betreffe häufig
besser verdienende Menschen, meist im Alter zwischen 25 bis 50 Jahren. Häufig seien
das Leute mit naturwissenschaftlichem oder technischem Hintergrund oder Personen aus
dem Sicherheitsbereich, Polizei und Militär.
Zur Zahl der Prepper in Deutschland gebe es keine belastbaren Zahlen, sagt Luy. Schätzungen
reichten von 10 000 bis 180 000 Menschen. Für ihn ist ein Prepper jemand, der sich
auf eine Katastrophe vorbereitet. Das sei erstmal nicht gefährlich für die Gesellschaft.
„Das Preppen wird erst gefährlich, wenn es mit rechten Weltanschauungen und Verschwörungsmythen
einhergeht.“
„Das Preppen wird erst gefährlich, wenn es mit rechten Weltanschauungen und Verschwörungsmythen
einhergeht.“ Mischa Luy, forscht seit Jahren am Prepper-Phänomen
Preppen ziehe aber ganz grundsätzlich Leute an, die dem Staat misstrauen oder ihm
nicht zutrauen, für Schutz zu sorgen. Darin sieht Mischa Luy auch eine Anschlussfähigkeit
ins rechte Milieu: „Bei Rechten glaubt man auch nicht mehr an Handlungsmacht des Staates“,
erklärt er. Oft ist damit auch die Sorge verbunden, dass es mit der Gesellschaft bergab
gehe, alles schlechter werde, bis hin zu apokalyptischen Fantasien. Er sieht diese
Szene auf dem Vormarsch: „Viele haben die Corona-Krise als Bestärkung und Bestätigung
wahrgenommen.“
Der Komfortmensch
Jens, der Fahrlehrer, hat Feuer gemacht. Nun folgt eine Wanderung mit etwas Pflanzenkunde,
die Teilnehmer sollen Kräuter, Brennholz und Zunder sammeln. Am Abend wird eine Forelle
ausgenommen und auf dem Feuer gegrillt. Er wollte einfach mal raus aus seiner Komfortzone,
aus der „Übersättigung der Zivilisation“, etwas Neues lernen, sagt Jens R. Aber er
freut sich schon wieder auf die Zivilisation mit all ihren Annehmlichkeiten, auf das
Bier, den Kaffee, die Bratwurst. „Ich bin zu sehr Komfortmensch.“
Würde er sich als Prepper bezeichnen? Jens, der Fahrlehrer, denkt kurz nach und hält
Daumen und Zeigefinger ganz eng beieinander. „Ein ganz kleines bisschen“, sagt er.
„Ich mache mir zumindest Gedanken.“
Text: Nico Pointner // Fotos: Christoph Schmidt/dpa