Ein Mädchen hat sich einfach mal hier reingesetzt und wollte nicht gehen. Moselle
kannte sie, wurde von ihr ständig gehänselt. Da ist Moselle mit einem toten Aal auf
sie losgegangen. „Die ist nicht mehr wiedergekommen.“ Die 35-Jährige lacht. Ihr Lachen
ist laut, übertrieben und hysterisch. Ausgelassen planscht sie mit den Füßen im Wasser.
Ihre Hände vergräbt sie im Sand, die blauen Augen unter den buschigen Brauen schauen
neugierig in die Ferne.
Schon als Jugendliche hat sie es gehasst, dass ihre Brüste wachsen. Als sie 31 ist,
lässt Moselle sie entfernen. „Ich hatte eine große Oberweite, und dann die Behaarung,
ständig bin ich gehänselt worden.“ Sie wollte kein Junge sein, wollte aber auch nie
weiblich aussehen.
Vor einigen Jahren drohten die Behörden, ihr das Schwimmen im Rhein zu verbieten.
Zu ihrem eigenen Schutz. Doch ihr Psychologe bestätigte: Moselle kann ohne den Rhein
nicht leben. Suizidgefahr.
Sie schwimmt Kilometer weit, fast jeden Tag, von Koblenz bis Linz oder noch weiter.
Fünf bis sechs Stunden ist sie unterwegs, 38 Kilometer legt sie zurück. Das meldet
sie bei der Polizei immer an. Kinder hat sie schon aus dem Fluss gerettet. „Gedankt
hat es mir niemand.“ Und einmal hat sie einen Schuh im Rhein gefunden. Da steckte
noch ein Fuß drin. Den hat sie bei der Polizei abgegeben.
„Ich würde ihn sofort heiraten, wenn das ginge.“
„Ich schwimme aus Liebe zum Rhein, ich möchte ihn ganz genau kennenlernen“, sagt sie.
Deshalb will sie mal durch den ganzen Rhein schwimmen, als erste Frau. Von der Quelle
bis zur Mündung, 1232 Kilometer. Innerhalb von sechs Wochen und in unterschiedlichen
Etappen. Sie hat sich sogar den Flusslauf auf den Bauch tätowieren lassen. „So habe
ich ihn immer bei mir.“
Der Rhein erwidert diese Zuneigung, sagt sie. Immer wieder mache er ihr bei ihren
Tauchgängen Geschenke. So findet sie einmal eine kleine Schatulle mit Modeschmuck.
Und einmal holt sie einen goldenen Ehering aus dem Wasser. Sie lässt ihn gravieren
mit „Moselle und Rhein“. Den Ring träg sie Tag und Nacht. „Der Rhein hat mir einen
Heiratsantrag gemacht. Und ich habe ihn angenommen. Ich würde ihn sofort heiraten,
wenn das ginge.“
Es hat viel geregnet, der Rheinpegel ist ziemlich hoch. Da sieht man nur ein paar
Farbkleckse, der Rest steht unter Wasser. Moselle hat die Uferwand unterhalb ihrer
Burg bunt bemalt. Mit spezieller Farbe. Die Bilder zeigen, was sie im Rhein sieht
und erlebt. Viele Schiffe hat sie gemalt. Zum Beispiel das blaue Ausflugsschiff, das
so aussieht wie der Moby Dick. Oder eine Windhose. Sie ist bei einer ihrer Touren
mal mitten reingeschwommen in eine. Angst hat sie nicht gehabt. „Ich war ja im Rhein.“
Einige Motive zeigen Lichter, die sich nachts auf dem Wasser spiegeln. Jedes Jahr,
an Silvester, schwimmt Moselle von Bad Hönningen nach Linz und schaut sich die vielen
kleinen Feuerwerke vom Wasser aus an.
„Die alten Menschen akzeptieren mich, wie ich bin.“
Eine Berufsausbildung hat Moselle Adams nicht. Sie ist Frührentnerin. Sie wohnt seit
sieben Jahren in einem Seniorenheim. „Die haben damals jemanden gesucht, der sich
ehrenamtlich ums Aquarium kümmert.“ Eigentlich hatte sie ja immer Angst vor alten
Menschen. Um zu testen, wie zuverlässig Moselle ist, setzt die Heimleitung sie ein
paar Tage in der Tagespflege ein. Sie spielt „Mensch ärgere dich nicht“ mit den Heimbewohnern
und hat dabei Spaß. „Die alten Menschen akzeptieren mich, wie ich bin.“ So wie der
Rhein. Irgendwann fragt sie die Heimleiterin, ob sie bleiben darf. Zufällig ist eine
Dachwohnung frei. Nur eine steile Treppe führt nach oben, zu steil für alte Menschen.
Es wird Nachmittag. Moselle schwimmt wieder zurück, weg von der Burg, Richtung Linz.
Bis zur Fähre. Dabei lässt sie sich einige Meter von der starken Strömung treiben.
Sie wartet im Wasser in sicherer Entfernung, bis die Fähre abgelegt hat. Dann schwimmt
sie zur Rampe und steigt aus dem Wasser. Nass, die rote Boje immer noch um die Hüften,
geht sie zur Straße, durch die Unterführung in die Altstadt. Das Haar klebt an ihrem
Kopf. Auf dem Kopfsteinpflaster zieht sich eine Tropfspur, dazwischen ihre Fußabdrücke.