Fondue ist das Gericht der Stunde – das Beste für lange Abende in kleiner Runde. Ein Streifzug durch Geschichte und Stile
Von Angelika Sauerer
24. Dezember 2020 04:00 Uhr
Beim ersten Mal fünf Stockhiebe! Beim zweiten Mal zwanzig Peitschenhiebe! Beim dritten
Mal mit einem Gewicht an den Füßen in den Genfer See! Hilfe. Als Asterix und Obelix
bei den Schweizern Station machen, mutiert die Orgie beim Genfer Statthalter Feistus
Raclettus zum Russischen Roulette: Wer sein Brot im Fonduetopf verliert, muss büßen.
Ein Fondue – das will uns das Heft an dieser Stelle wohl vermitteln – ist nicht auf
die leichte Schulter zu nehmen. Apropos leicht: Das Schweizer Nationalgericht aus
geschmolzenem Käse – fondre heißt auf Französisch schmelzen, fondue geschmolzen –
ist alles andere als leichte Kost. Eine stattliche Käsemenge, dazu ein Haufen Brot,
Mixed Pickles und ein nicht zu vernachlässigender Alkoholgehalt machen es zur Herausforderung
selbst für geübte Esser. Auch wenn keine Prügel drohen, gilt es Gefahren zu umschiffen.
Der Reiz indes wächst mit der Aufgabe. Und überhaupt: Wir haben ja Zeit. Denn eins
ist klar, so ein Fondue zieht sich in die Länge, und zwar in doppelter Hinsicht –
zeitlich und physisch.
Der Käse wird in den erhitzten Wein gerührt, bis er geschmolzen ist. Zuvor reibt man
das Caquelon mit Knoblauch aus. Foto: Leonhard Sauerer
Doch nur, wenn sich die Käsemasse schön verbindet, kann sie sich auch ziehen und die
Brotstücke dick ummanteln. Ein Fondue, das in Klümpchen ausflockt und sich in flüssige
und feste Bestandteile zerlegt, ist ein Schreckensszenario, das Feistus Raclettus
vermutlich noch härter bestrafen würde als den eher verzeihlichen Brotverlust, der
– das wissen wir aus Erfahrung – oft auch auf heimliche Sabotage unter dem Käsespiegel
zurückzuführen ist.
In der Schweiz nimmt man die Gefahr der sogenannten Phasenseparation sehr ernst. Eine
Gruppe von Forschern der ETH Zürich untersuchten die „Rheologie des Schweizer Käsefondues“.
Rheologie ist die Wissenschaft der Fließkunde, sie untersucht, unter welchen Bedingungen
sich Materie verformt. Man fand heraus, dass Stärke als bindendes Element unabdingbar
ist. Bei drei Prozent Stärke (bezogen auf den reinen Wasseranteil) gelingt die Bindung
zwischen Fett, Kasein (Milchproteine) und Flüssigkeit.
Zum Käsefondue gibt es Mixed Pickles. Foto: Leonhard Sauerer
Im Grunde genommen kann man sich an das gängige Rezept halten. Über den Daumen gepeilt
rechnet man für vier Personen 600 Gramm Käse, 300 Milliliter Weißwein, ein Stamperl
Kirschgeist, in den ein Esslöffel Stärke verrührt wird, eine Knoblauchzehe, mit der
man den Topf ausreibt und Gewürz nach Gusto, zum Beispiel Muskatnuss, Paprika oder
auch die restliche Knoblauchzehe (gepresst). Das Brot sollte so geschnitten sein,
dass an jedem Stück noch etwas Rinde ist, in die man die Fonduegabel spießen kann.
Wer mag, würzt das Fondue zusätzlich mit Knoblauch. Foto: Leonhard Sauerer
Die Wahl des Käses freilich ist eine Frage des Geschmacks und des Glaubens. Die Appenzeller
schwören auf Appenzeller, die Freiburger auf den Freiburger Vacherin. Oder es wird
gemischt, moitié-moitié – halb halb – Greyerzer und Comté oder Vacherin. Im Savoyer
Fondue aus den französischen Alpen finden sich Emmentaler, Comté und Beaufort. In
den norditalienischen Alpen gibt es die Fonduta valdostana und die Fonduta piemontese,
die mit Butter, Eigelb, Milch und Trüffeln angerührt wird.
Den genauen Ursprung des Fondues kennt man nicht. Senner könnten es erfunden haben
oben auf ihren Almen. Oder Mönche, die in der Fastenzeit keine feste Nahrung zu sich
nehmen durften. Die Zürcherin Anna Maria Gessner hat 1699 das vermutlich erste Rezept
auf Deutsch niedergeschrieben. In den 70er Jahren wurde das Käsefondue auch außerhalb
der Westalpen modern. In England gab es einen richtigen Hype um den exotischen Käsetopf,
Caquelon genannt.
Geschmolzener Käse und gemütliches Beisammensein als Gegenprogramm zur Vereinzelung:
Vermutlich war das nie so wertvoll wie heute.
50 Jahre später erlebt er nun ein Revival, und zwar schon vor der Corona-Krise. „Warum
der Siebzigerjahre-Käse wieder zurück auf dem Menü ist“, titelte 2017 die britische
Tageszeitung „The Telegraph“. Antwort: Es liegt am Gesamtpaket geschnürt aus Gemütlichkeit,
Einfachheit und menschlicher Wärme. Geschmolzener Käse und gemütliches Beisammensein
als Gegenprogramm zur Vereinzelung: das Fondue als soziales Medium. Vermutlich war
das nie so wertvoll wie heute.
Das Brot sollte so geschnitten sein, dass an jedem Stück etwas Rinde bleibt, dann
hält es besser an der Gabel. Beim Eintunken immer schön über den Topfboden streichen
und zwischendurch auch umrühren. Foto: Leonhard Sauerer
Funktioniert übrigens auch mit allen anderen Spielarten des Fondues, bei denen Fleisch,
Fisch oder Gemüse in heißem Öl oder in Brühe gegart wird. Der Phantasie sind keine
Grenzen gesetzt. Das nur am Rande für alle, denen ein klassisches Käsefondue dann
doch viel zu weinselig schmeckt.