Die Nachkommen der Auswanderer in Plain/Wisconsin sind stolz auf ihre bayerischen Wurzeln – und warmherzige Gastgeber. Eine Reise in die USA.
Von Petra Schoplocher
13. Februar 2020 13:40 Uhr
Der Steuerberater? Ruhland. Die Eisenwarenhandlung? Ederer. Heizung, Klima? Nachreiner.
Autos auch. Und das Fleisch? Von Metzger Straka. Nein, wir sind nicht in der Nähe,
wir sind sogar ganz weit weg. Über 7000 Kilometer weit – das macht es so unglaublich.
So unglaublich wie eigentlich alles, auf das man stößt, wenn man sich auf das Abenteuer
Plain im US-Bundesstaat Wisconsin einlässt. Da sind Menschen, die wenige Wochen vorher
noch nichts von einem wussten, die einen zu Hause aufnehmen. Andere, die zu einem
edlen Willkommens-Abendessen einladen, und wieder andere, die sich einen Tag lang
Zeit nehmen, Museen, Firmen und Landschaften zeigen, erklären und nebenbei amerikanischen
Lifestyle und Esprit verstreuen.
Ganz neu: Am Ortseingang begrüßt dieses Trachtenpaar alle Besucher. Foto: Schoplocher
Auf zwei Dinge sind die Plainer besonders stolz: Ihre Kirche und ihr deutsches Erbe.
Das Gotteshaus ist schon das fünfte, das gebaut wurde. Foto: Schoplocher
Die "Schnitzelbank" vereint deutsche und amerikanische Küche - dafür sorgt die Pächterfamilie
aus Albanien.
Nicht nur die Besucher staunen. Alan zeigt einen Jahrhunderte alten Dollar.
In Plain gibt es die katholische Schule schon länger als die öffentliche. Demnächst
startet die Renovierung. 1,3 Millionen Dollar an Spenden sind schon zusammengekommen.
1866 aus Irlach in den Wilden Westen
Die Familie Kraemer, hier Karl (links) und Marty, hat nicht nur ihr Grab am alten
Friedhof in Plain/Wisconsin (USA), die Firma hat ihn auch instand gesetzt und bewahrt
so das deutsche Erbe der Auswanderer. Fotos: Schoplocher
Beispiel Karl und Marty Kraemer, die mich nicht nur in die beeindruckende Erfolgsstory
der Baufirma Kraemer einführen, sondern an ihrer Familiengeschichte teilhaben lassen.
Der Stammbaum der 1866 aus Irlach eingewanderten Paul und Walburga (Stangl) ist unbeschreiblich.
Wie eng die Kraemers aber mit Plain verbunden sind, ist am alten Friedhof zu erkennen,
den die Baufirma aufwendig saniert und Marty katalogisiert hat. Mit Geburts- und Sterbedaten,
aber auch des Jahres der Immigration und der Herkunft. Treffelstein, Untergrafenried,
Schäferei. Überhaupt, Friedhof: In Worte ist das Gefühl nicht zu fassen, mehr als
einen Ozean weit entfernt da zu stehen und auf Reihen von Grabsteinen mit den gleichen
Namen zu blicken wie zu Hause. Plötzlich ist es nämlich irgendwie „Zuhause“.
Dafür sorgt aber auch die Herzlichkeit der Menschen. Keine einzige Begegnung in den
Plain-Tagen, in denen sich nicht Freude breit gemacht hätte über den Besuch aus Germany.
Plain ist „deutsch“. St. Luke Katholische Kirche steht auf dem Schild, die Hauptstraße
heißt auch so (nicht Main Street), es gibt eine Nachreiner-Avenue und deutsches Essen
im Restaurant, zu amerikanischem Bier in wundervoller „Kenn ich aus Fernsehserien,
gibt es aber wirklich“-Atmosphäre.
Ein magischer Ort für Mary Jane Liegle: In der kleinen Kapelle oberhalb Plains hängt
das Bild der Muttergottes von Ast, das die Einwanderer mitbrachten. Foto: Schoplocher
Mary Jane Liegle gehört eines, es gibt (natürlich) Hamburger, gut zur Stärkung vor
einem Fußmarsch hinauf zur Sankt-Anna-Kapelle. „Die hätten nur Deutsche bauen können“,
höre ich nicht nur einmal. Bewegend: In die Steine, die die Grotte bilden, sind Glassplitter
der Kirchenbilder eingelassen, die mitsamt dem Gotteshaus 1918 durch einen Tornado
zerstört wurde. Noch mehr bleibt trotz oder gerade wegen der unglaublich informativen
(und mitunter „verrückten“) Geschichten der geborenen Diehl die Zeit im Museum stehen,
über das alleine zu schreiben Seiten füllen würde. Hüte, Schmuck, Alltagsutensilien,
vor allem aber Fotos katapultieren einen ungefragt ins Leben der Einwanderer, Gänsehaut
inbegriffen.
Wo Amish und Indianer leben
Wer kann das von sich schon behaupten: Aus Dankbarkeit hat die Universität in Baraboo/Sauk
County die Cafeteria nach Joe Wankerl benannt.
Dreh- und Angelpunkt ist allerdings ein anderer: Joe Wankerl, in Waldmünchen bestens
vernetzt und bekannt, und seine Frau Lucille fungieren als Gast(groß)Eltern. Joe spricht
besseres Bayerisch als ich und wird nicht müde, von vielen wunderbaren Begegnungen
hüben wie drüben zu schwärmen. Er zeigt seinen Stolz auf das deutsche Erbe, zeigt
mir aber auch das Hinterland mit Amish und Indianern und erzählt ungeschminkt deren
Historie.
Ich höre vom Sterben der Bauernhöfe und dass der Supermarkt gerade geschlossen hat.
Ich spüre aber auch das große Zusammengehörigkeitsgefühl und die Solidarität. Das,
ergänzt um diesen hochachtungsvollen Blick auf die eigene Geschichte und die alte
Heimat, macht Plain zu einem wundervollen Ort mit wundervollen Menschen und spannt
ein unsichtbares Band sogar über einen Ozean.